Land der Überraschungen
Es war der Tag der Abreise. Uruguay liegt auf der anderen Seite des Rios de la Plata und man kann einfach mit der Fähre übersetzen. Ich wollte nachmittags fahren, um mir am Vormittag noch schnell den Cementerio de la Recoleta, Buenos Aires spektakulären Friedhof, anzuschauen.
Bei alle bekannten Fährencompanies kann man Tickets online kaufen, meist mit 50% Rabatt. Doch scheitert der Kauf an meiner deutschen Passnummer und auch fünf Anläufe später und etliche Minuten in der Warteschleife des Callcenters (Danke Miguel!) hab ich immer noch kein Ticket. Ich verfluche die argentinische Bürokratie und entscheide mich, mit Blick auf die Uhr, die Verstorbenen Buenos Aires ein anderes Mal zu besuchen. Im Hafen kauf ich das überteuerte Offline-Ticket und stell mich in die Boarding-Schlange.
Ich mag Grenzübertritte auf Reisen besonders gern. Sie sind der Moment, in dem die Vorfreude ihren Höhepunkt erreicht, wie, wenn man als Kind das erste Mal die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum erblickt. Ich freue mich auf das neue Land, weiß aber noch nicht, was mich zu erwarten hat. Im Fall von Uruguay hatte ich gar keinen Plan. Das einzige, was ich wusste war, dass Uruguay nicht Paraguay ist, und dass sie als eines der ersten Länder Marijuana legalisiert hatten. Und dann gab es noch Suarez, den beißensten Fussballer der Welt. Das war’s!
Die Überfahrt des Rios dauert eine knappe Stunde, in Dresden braucht die Laubegaster Fähre gerade mal zwei Minuten, beeindruckend wie breit ein Fluss sein kann, in der Mitte sieht man weder Argentinien noch Uruguay. Ich komm in Colonia del Sacramento an, einer Stadt, die ursprünglich einmal gegründet wurde, um im 17. Jahrhundert Güter nach Buenos Aires zu schmuggeln. Heute ist sie Unesco Kulturerbe … und etwas sehr verschlafen. Nach Buenos Aires kommt mir die Ruhe aber ganz recht, nach einer kurzen “Citytour” mach ich mich auf ins Hostel um etwas zu entspannen.
Doch kaum im Hostel treff ich auf Enrique (a.k.a. Kike), einen 40-jährigen Peruvianer, der in Buenos Aires wohnt. Wir unterhalten uns kurz, Kike wirkt noch nicht so ganz tiefenentspannt, sondern eher etwas übertrieben aufgeweckt, so wie als wenn er die empfohlene Tagesdosis an Mate um ein vielfaches überschritten hätte. Ihm tut Colonia wahrscheinlich gut. Außerdem hat er einen Faible für Selfies, allein in meinem Beisein fotografiert er sich und seine Goldkette fünf Mal. Ich werde hungrig und schlage Kike vor mit Essen zu kommen. Er ist sofort dabei, wie als wenn er nur zu drauf gewartet hätte etwas zu unternehmen.
Kike spricht kein Wort Englisch, und, wir waren noch nicht mal im Restaurant, da hatte ich auch schon alle Standardfragen, welche ich sicher auf Spanisch konnte, durch. Dass kurze Schweigen passte meinem neuen Kumpel natürlich gar nicht und ich verfluchte mich innerlich für jedes Mal, dass ich behauptet hatte mich auf Spanisch problemlos verständigen zu können. Gut, dank einiger Bier schaffen wir es schließlich die Konversation am Leben zu halten, bei jedem sich annähernden Schweigen stoßen wir auf die Amistad (“Freundschaft”) zwischen Peru und Deutschland an, so oft, dass man bald über eine Aufnahme Perus in die EU nachdenken könnte. Nach meinem ersten Abend in Uruguay hab ich noch immer keinen Plan vom Land, aber definitiv verstanden, dass es jetzt ernst wird mit Spanisch lernen.
Am nächsten Tag geht es nach Montevideo, Uruguays Hauptstadt. Die drei Stunden Busfahrt plaudere ich mit einer Argentinierin und merke, dass Spanisch auch ohne Bier geht. Vom Busterminal in Montevideo nehm ich den Bus zum Hostel und, als ich an der falschen Haltestelle aussteige, ruft mich die Busfahrerin zurück und lässt mich wieder einsteigen. Außerdem halten die Autos am Zebrastreifen. Und die Leute grüßen auf der Straße. Angekommen in Hostel versichere ich mich noch einmal, dass ich nicht in Kanada bin.
Am Hostelpool treff ich auf Johnny, einen lustigen und gesprächigen Iren, der mir gleich erst einmal erzählt, wie er am Abend zuvor ausgeraubt wurde und mein Bild Uruguays kurz ins Wanken bringt. Nun ist Südamerika nicht gerade für einen hohen Grad an Sicherheit bekannt, es kursieren Horrorgeschichten von Busüberfällen in Bogotá, wegen einer Nikonkamera erschossener Reisenden in den Favelas Rio de Janeiros und Menschenraub in Caracas. Sicher alle wahr, aber nie unverschuldet. Manche Backpacker laufen mit einer dicken Bauchtasche und einer fetten Kamera nachts alleine und betrunken durch ein unbekanntes Viertel, um Geld abzuheben. Das ist wie sich als Antilope verkleidet in einem Käfig ausgehungerten Löwen einzuschließen. Mit gesundem Menschenverstand lebt es sich aber entspannt, am besten man informiert sich immer über unsichere Viertel, fährt nachts nur Taxi und nimmt nur das nötigste mit aus dem Hostel, etwas Cash und kein iPhone. Und, fragt doch einer mit einen Messer nach einer Spende, gibt man ihm, was er will und kommt glimpflich davon … und ja, nach Venezuela würde gerade auch so gut wie kein Südamerikaner reisen.
Als Johnny seine Geschichte weiter erzählt, kommen ein paar Details hervor, welche mein Bild von Uruguay wieder gerade rücken: Johnny hat sich um zwei Uhr nachts auf dem Rückweg vom Zentrum verlaufen. Johnny war nüchtern, auch wenn ich nicht ganz sicher bin, was das in Irland heißt, und ist dann mehrmals unweit vom Hostel die gleiche Straße auf und ab. Dass er dann gleich zweimal von den gleichen Übeltätern (erst Cash dann Handy) abgezogen wurde, ist wohl etwas Pech, aber ich bin mir sicher sie haben sich bei ihm bedankt! Und das beste an der Geschichte ist, dass Johnny herzlich drüber lachen kann und noch jede Menge weitere Geschichten auf Lager hat. Wir bestellen ein Bier, ich stretche die Lachmuskeln und freue mich Johnny getroffen zu haben.
Das Wochenende verbringe ich mit Maira und Marisa, einer Argentinierin und einer Uruguayerin. Tagsüber trinken wir Mate am Strand und sprechen perfektes Spanglish, abends zeige ich ihnen, wie man Bier mit einem Feuerzeug öffnet und sie mir, wie man Cumbia tanzt. Die Tage vergehen fliegend schnell und mit jedem Tag mag ich Uruguay mehr. Auch die folgenden Woche an den Küstenorten Cabo Polonio und Punta del Diablo setzen den Positivtrend fort, sodass ich mich entscheide für mein nächstes großes Ziel, die Iguazù Wasserfälle, die etwas länger Route über Norduruguay und nicht den direkten Weg durch Brasilien zu nehmen.
Ich fahr nach Salto, die Reise ist zugegebenerweise etwas langweilig. Auf jeden Einwohner Uruguays kommen vier Kühe, die Landschaft ist dementsprechend flach und hat nur Weideland, so viel, dass es sogar locker 20 Kühe pro Einwohner sein könnten. Angekommen in Salto treff ich Karina, eine alte Reisebekanntschaft, die zufällig gerade da ist. Wir gehen essen, das Chivito, was wir uns teilen, ist immer noch viel zu viel für zwei. Der Norden Urugays ist wie Arizona nur latino, alle fahren riesige Pickups, es ist unglaublich heiß und die Trucks vorbeikommen, staubt es. Es fehlen nur die Gauchos, Südamerikas Cowboys. Ich bekomm noch einmal einen ganz anderen Eindruck von Uruguay, aber lieb das Land nachwievor. Uruguay ist eines der progressivsten, entspanntesten und sichersten Länder auf dem Kontinent, aber das beste sind die Leute, die ich getroffen hab, und meine letzte uruguayische Bekanntschaft sollte noch einmal eins an Gastfreundschaft drauf setzen.
Um nach Argentinien überzusetzen, gibt es eigentlich Boote und Busse. Nur fahren diese am Sonntag nicht. Als ich dies der Besitzerin meines Hotels erzähle, isst sie gerade zu Abend mit ein paar Freunden, unter anderem Ricardo. Ricardo ist schmächtig, hat aber lange Haare, einen Vollbart und vor allem ein fettes Motorrad. Als er von meinen Reiseplänen erfährt, bietet er mir spontan an mich am nächsten Tag die Stunde bis nach Argentinien zu fahren. Geil, kann mir kaum einen bessere Art vorstellen durch Südamerika zu reisen, ganz wie der gute alte Che. Ich pack meine Sachen, treff mich abends noch einmal mit Karina und genieße die letzten Stunden in Salto.
Am nächsten Tag wartet Ricardo schon um sieben auf mich. Wir befestigen mein Gepäck auf dem Sitz und fahren los. Schon nach zwei Minuten ist die Fahrt verdammt unbequem, aber egal, gibt es doch kaum ein größeres Gefühl von Freiheit: auf nach Argentinien, auf zum nächsten Abenteuer!