How big are the chances?
Wir hatten gerade den Kruger National Park hinter uns gelassen. Fast komisch wieder in der Zivilisation zu sein, und so viele Menschen zu sehen, das war man schon nach zwei Tagen Safari gar nicht mehr gewöhnt. Aber es sollte noch schräger werden, denn schließlich ging es weiter nach eSwatini, früher mal Swaziland, was der Zwergenstaat zwischen Südafrika und Mosambik ist. Und genauso cool, wie die Schreibweise des Namens war das Land auch: es liegt als kleine grüne Oase zwischen zwei Gebirgsketten und ist einfach nur umwerfend schön. Und, im Vergleich zu Südafrika habe ich hier etwas gefunden, was ich schon immer mit Afrika assoziiert hatte: die rennenden Kinder in weißer Schuluniform, welche über die Dirt Roads nach Hause rannten und uns beim Überholen anlachten und zuwinkten. Generell war das Thema Rennen in eSwatini groß. In Johannesburg gingen die Leute noch Joggen, so wie in Europa, um abzunehmen oder um fit zu bleiben. In eSwatini schien das Rennen ein alternatives Fortbewegungsmittel zu sein, für diejenigen, die sich keinen Bus leisten konnten. Überall rannten Menschen: auf der Autobahn, auf den Straßen, auf den Feldern, aus den Büros und in den Shopping Malls. Ich hatte bis jetzt höchstens beim Berlin Marathon so viel Leute rennen gesehen, aber ganz bestimmt nicht mit Tasche und Arbeitssachen.
Neben dem Rennen erfüllte eSwatini noch jede Menge andere Clichès: beim Grenzübergang mussten wir zum Beispiel erst einmal mit dem Grenzsoldaten kurz tanzen, eh er unser Auto angeschaut hat, allen Menschen scheint ein fettes Lächeln auf das Gesicht gestempelt zu sein, und generell, wirken sie total glücklich. Und das, obwohl das Land vom Oxfam teilweise als Schlusslicht beim Thema Gerechtigkeit gesehen wird: regiert wird das kleine Land nämlich von einem König, welcher mit seinem zwei Privatjets regelmäßig um die Welt jettet, Uhren mit Millionenwert trägt, während in anderen Teilen des Landes das Wasser fehlt und Kinder verhungern. Wir hatten das Glück in unserem Hostel in Lobamba uns mit ein paar Swazis zu unterhalten, welche uns noch so einiges über das Land erzählten. Nach einem wunderbaren Abend in guter Gesellschaft, ging es am Folgetag dann allerdings auch schon weiter zurück nach Südafrika und zu den Drakensbergen – viel tolle Natur, Reiten und Wandern – und schließlich nach Durban, der drittgrößten Stadt Südafrikas, von wo aus wir dann an der Küste die Reise Richtung Kapstadt antreten wollten.
Durban hatte uns weniger beeindruckt, genauso wenig Port Elizabeth – irgendwie war uns das zu posh, sodass wir froh waren endlich auf der bekannten Garden Route zu sein, doch auch die hatten wir uns anders vorgestellt. Mossel Bay hatten wir übersprungen, Plettenberg schien ein Rentnerparadies, in Knysa war auch nicht viel los, außer ein verrückter Rastafari und jede Menge Bed Bugs, sodass wir schon fast frustriert nach Kapstadt fahren wollten, aber zum Glück noch in Wilderness gehalten hatten, denn Wilderness war ein Traum: sagenhafter Strände, ein Hostel mit Meeresblick, Livemusik und jede Menge entspannter Leute. Als Traveller ist man entweder im Reise- oder im Hängebleib-Modus: Wilderness war definitiv der beste Ort für letzteres.
Nach wunderbaren Tagen im Paradies ging es nun langsam auch dem Ende der Reise zu: auf Kapstadt lagen viele Erwartungen, die es problemlos erfüllen konnte, doch bevor es in diese Traumstadt ging, gab es noch einen letzten Stop am Cape Agulhas – dem südlichsten Zipfel Afrikas – und in Stellenbosch. Stellenbosch, ein kleines, und charmantes Universitäts-Städtchen gleich neben dem Kap wurde einst von den holländischen Kolonialherren gegründet, aber schnell bekannt, weil die Hugenotten, welche aus Frankreich flüchten mussten, in den 1690ern Trauben mitbrachten und es zu der zentralen Weinregion Südafrikas gemacht hatten. Dass die Trauben auch heute noch gut schmecken, hatten wir auch bei einer sehr umfangreichen Verkostungstour selber herausfinden dürfen, nur welcher der 21 Weine der beste war, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern, dafür hatten wir aber so tief wie lange nicht mehr geschlafen.
Und nun, am nächsten Tag, waren wir nun endlich da: wir waren Kapstadt. Ich hatte mir viel unter der Stadt vorgestellt, viel Gutes gehört und wie es scheint, waren all die Vorstellungen wahr. Allein die Schönheit dieser Stadt ist einmalig: muss man sich doch so oft zwischen Bergen, Meer und Stadt entscheiden, vereint Kapstadt alle drei Dinge. Der Tafelberg steht majestätisch mitten in der Stadt, der Park dazu zieht sich südlich hin bis zum Kap der guten Hoffnung. Umgeben ist die ganze Stadt von Meer, der Atlantik liegt im Westen, im Osten die etwas entspanntere False Bay. Und aus urbaner Sicht ist Kapstadt ein Mix aus Los Angeles, Berlin und Buenos Aires. Zu tun gab es auch viel: so füllten Max und ich unsere Tage damit hippe Viertel zu erkunden, den Tafelberg zu besteigen und natürlich auch noch damit etwas das Nachtleben zu erkunden.
Und so war es schon fast unser letzter Abend, als wir mit zwei Freundinnen gerade fertig mit Essen waren, als plötzlich ein tätowierter Typ in die Bar hineinlief. Irgendwie kam der mir bekannt vor, aber ich dachte nicht weiter drüber nach, denn wen sollte ich denn schließlich hier schon kennen. Doch gerade als ich mich wieder unserem Gespräch zuwandte, schoss es wie ein Blitz in meinen Kopf: das war Martino! Ich hatte Martino vor sieben Jahren auf Koh Phi Phi kennengelernt und wir hatten dort damals gemeinsam die thailändischen Inseln unsicher gemacht. Nun, wie groß war die Wahrscheinlichkeit den nun hier zufällig zu treffen. Ich sprang auf, ging hin und siehe da, es war wirklich er, was zur Hölle! Wir trinken ein Bier gemeinsam, tauschen uns über die wichtigsten Themen aus und versuchen noch Martinos Kumpel Dale dazu zu bekommen – er war damals auch mit in Thailand und wohnte wohl um die Ecke, aber sollten kein Glück haben. Nach etwas Zeit verabschieden wir uns wieder, und ich gehe voller guter Erinnerungen nach Hause.
Am nächsten Tag hatten Max und ich entschieden den letzten Tag am Strand zu verbringen und noch einmal richtig gut Fisch zu essen. Camps Bay schien dafür genau der richtige Ort und so fuhren wir mit dem Uber dahin. Am Morgen hatte mich mein Handy noch daran erinnert, dass es Dales Geburtstag war. Manchmal ist es seltsam, wie einen die Geister der Vergangenheit verfolgen, aber richtig seltsam wurde es, als mir auf der Standpromenade wieder ein Gesicht bekannt vorkam. Diesmal brauchte ich etwas länger, bevor ich mir sicher war: es war Dale. Ernsthaft? Ich meine, wie wahrscheinlich ist es die einzigen Personen, die man in einer Millionenstadt kennt, zufällig an zwei verschiedenen Tagen und zwei verschiedenen Orten zu treffen. Hätte ich mal Lotto gespielt!
Dale war genauso verblüfft wie ich – wir hatten uns zwar kurz geschrieben, dass ich nach Kapstadt kommen würde, aber nicht wirklich gut abgesprochen, sodass er nun überhaupt nicht mit mir gerechnet hatte. Aber kein Problem, schließlich war es ja sein Geburtstag und schnell lud er uns zu einem Bier ein. Aus einem Bier wurden zwei, dann drei und eh wir uns versahen saßen wir laut singend und mit Max am Performen eines Kazoo-Solos in einem Auto auf dem Weg in die City. Obwohl wir uns seit 2012 nicht gesehen hatten, fühlte es sich so an, als hätten wir uns erst gestern verabschiedet und so verging der Abend schneller als gedacht. Es ist auf meinen Reisen eine Tradition die letzte Nacht nicht zu schlafen und so auch diesmal: um sieben Uhr morgens war ich wieder im Hostel, gerade genug Zeit, um die Taschen zu packen und zum Flughafen zu fahren.
Im Taxi konnten wir im Rückspiegel sehen, wie der Tafelberg immer kleiner wurde. Ein ganz bisschen steckte der Abend noch in meinem Knochen – schließlich war man nicht mehr ganz in dem Alter, als die „Ich-schlaf-die-letzte-Nacht-nicht“-Tradition begründet wurde. Und trotzdem machte sich im Bauch ein warmes und schönes Gefühl des Glücks und der Zufriedenheit breit: ja, auch dieser Kontinent hat sein Platz in meinem Herzen gefunden, einmal wieder Glück gehabt, das erleben zu dürfen. Aber im gleichen Atemzug kommt auch die Lust nach mehr, denn schließlich wissen wir jetzt wo Botswana, Mozambique und Namibia liegen und was für tolle Orte das sein sollten. Ich drehe mich noch einmal um, schau die fast von den Wolken verdeckte Spitzen des Tafelbergs an und denke laut in meinem Kopf: bis bald!
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