Südamerikas Kämpfe

Ziisscch, ich bekomm eine volle Ladung Schaum in mein rechtes Ohr, ich halt schnell die Luft an und mach meinen Angreifer ausfindig, die Attacke kam aus der Gruppe des kleinen Jungen mit dem grünen Basecap, dem ich gerade eine Wasserbombe verpasst hatte. Ich pack mir zwei neue Bomben und schüttele meine Schaumflasche, hol tief Luft und renn auf die Gruppe zu, als ich drin bin, fühl ich mich etwas wie ein japanischer Kamikaze, von allen Seiten kommt Schaum, aber yes, ich schaff es dem Kollegen mit dem grünen Basecap die kalten Wasserbomben von hinten ins T-Shirt zu stecken!! Ich war mit dem Aussiepaar, Ruby und Steve, aus dem Bolivienbus um 5 Uhr morgens angekommen und nach einem kurzen Schlaf hatten wir voller Enthusiasmus festgestellt, dass es die Peruaner nicht so streng mit der Fastenzeit nehmen und die Schaumschlachten noch Wochen nach dem Ende des Karnevals weitergehen. Wir hatten uns gleich ihn Kampfmontur geschmissen und wurden schnell zum Ziel Nummer 1, vor allem der zwei Meter große Steve, aber nevermind, Straßenschlachten mit peruanischen Teenagern könnte mein neues Hobby werden. Nach zwei Stunden, etlichen Litern kalten Wassers und voller Farbe und Schaum setzen wir uns schließlich auf eine Treppe und begreifen erst einmal, wo wir überhaupt sind: in Cusco, der ehemaligen Hauptstadt der Inkas!

Cusco war lange Zeit das Zentrum des Inka-Imperiums, nach dem Einmarsch der Spanier hat es sich zu einer der wichtigsten und schönsten Kolonialstädte Südamerikas verwandelt. Nichtsdestotrotz gibt es noch einen anderen Grund, warum es hier nur so von Touristen wimmelt: Cusco ist der perfekte Startpunkt für eine Tour zum Machu Picchu. Die Stadt, tief versteckt im Dschungel, blieb während der ganzen Kolonialzeit der Spanier verschollen und wurde erst 1911 von dem amerikanischen Historiker Hiram Bingham durch Zufall entdeckt. Schon die Reise dorthin ist spektakulär, im Bus geht es über hohe Bergpässe und Straßen, die der Death Road problemlos Konkurrenz machen können. Weiter geht es zu Fuß durch ein Tal mit hohen und imposanten Felsen, überall erkenn ich Gesichter in den Wänden, die Atmosphäre ist mystisch, bis wir schließlich in Aguas Calientes ankommen, dem Städtchen am Fuße des Machu Picchus.
Der Aufstieg zu den Ruinen startet wenige Stunden später, mitten in der Nacht, zwei Stunden geht es non stop bergauf, bis wir endlich ankommen. Machu Picchu ist atemberaubend, die Stadt liegt auf einem Felsplateau, von dem steile Wände mehrere hunderte von Meter tief in ein Tal führen. Hinter dem Tal ragen unglaublich schöne Berge weit in die Höhe, die Natur, welche Machu Picchu umgibt, ist mindestens genauso imposant, wie die Stadt selbst. Eine dreistündige Tour führt uns schließlich durch die Ruinen, es fällt uns schwer zu glauben, wie diese Stadt damals ohne Hilfe moderner Technik gebaut werden konnte, selbst einen Zugang zu fließend Wasser gab es. Nach dem obligatorischen Foto mit dem Huayna Picchu, was wohl das häufigste Profilfoto aller Südamerikareisender ist, steigen wir wieder ab. Als wir am Bus ankommen sind wir glücklich, aber auch erschöpft, wir waren am letzten Tag mehr als 10 Stunden in der Höhe und im Regen gewandert und hatten die Nacht davor so gut wie nicht geschlafen, dafür aber ein Weltwunder gesehen, what a day!
 Am meisten beeindruckt mich in Peru die Natur, mal wieder war sie ganz anders als erwartet: liegt im Norden noch der tiefste Amazonasdschungel, ist ein Großteil von Peru unheimlich ungrün. Im Süden und an der Küste jede Menge Sanddünen in Landesinneren dominieren die hohen und ariden Bergketten der Anden, insgesamt sehen die Landschaften teilweise so abgefahren und außerirdisch aus, dass man problemlos alle Teile con Star Wars hier hätte drehen können. Nach Cusco fahr ich nach Lima, Huacachina und schließlich nach Huaraz, der Gebirgskette im Norden, die so schön ist, dass die Paramount Pictures nicht umsonst das perfekte Vorbild für ihr Logo hier gefunden haben. Mit meiner deutsch-tschechischen Wandergruppe pilgern wir zur Laguna 69, ein Ort, der der Ursprung aller Farben scheint, Bilder sagen wohl mehr als 1000 Worte. Auf dem Weg zum Pastouri Gletscher kommen wir schließlich auch noch einmal auf 5200 m Höhe, hoch genug um jeden Schritt dreimal zu spüren, es ist wahrlich ein Kampf den Gletscher zu erreichen. So schön die Berge auch sind, nach 2 wundervollen Monaten in den Anden bin ich nun definitiv wieder bereit für Meer und Dschungel!
Die finale Station meiner Reise ist Kolumbien, ich habe bis jetzt ohne Ausnahme nur gutes von dem einst gefährlichsten Land Südamerikas gehört, keine Frage, dass es eines der Highlights meines Trips wird. Nichtsdestotrotz will ich noch einmal Ecuador mitnehmen, liegt ja mehr oder weniger auf dem Weg. Nach 30h Busfahrt komme ich in Montañita an, einem Surfort mit super Strandvibes, angenehmen Temperaturen und einem guten Nachtleben. Als ich am ersten Abend noch zufällig Ruby und Steve wiedertreffe, ist die Wiederkehr zum Strand perfekt. Nach ein paar intensiven Tagen am Meer schau ich mir noch Quito an, bis jetzt die schönste Kolonialstadt Südamerikas. Die Ecuadorianer sind ganz stolz darauf das Zentrum der Welt zu sein, angeblich gibt es keinen Ort näher an der Sonne! Quito ist definitiv gemütlich und eine angenehme Stadt, sodass es mich nicht stört etwas länger zu bleiben, als ich erfahre, dass die kolumbianische Grenze wegen der Wahlen das ganze Wochenende geschlossen bleibt.
Am Sonntag herrscht Aufbruchstimmung, Gustav, mein schwedischer Reisebuddy, und ich sind nicht die einzigen, die zur Grenze wollen. Auch nach drei Monaten Reisen bin ich immer noch positiv aufgeregt und voller Vorfreude zu erfahren, wie das neue Land wohl sein wird. Da mittlerweile Horrorgeschichten von stundenlangen Wartezeiten und Chaos an der Grenze kursieren, entscheiden wir uns nachts zu fahren. Als wir gegen Mitternacht ankommen, ist die Lage in der Tat entspannter als gedacht, aber trotzdem tummeln sich hunderte von Menschen um das Immigration-Office. Als wir uns anstellen, werden wir mit einem Problem konfrontiert, was wohl aktuell die größten Misere Südamerikas ist: Venezuela. Ich war immer wieder mit Venezolanern in Kontakt gekommen, aber nie so krass wie hier. Jeder zweite hält einen Pass der República de Venezuela in der Hand, Menschen schlafen überall auf dem Boden, eingewickelt in Decken und neben den Menschenschlangen stapeln sich die Koffer, oft alles Hab und Gut, was die Flüchtlinge mitnehmen konnten. Chávez hat das eh schon angeschlagene Land mit seiner sozialistischen Antiamerikapolitik weiter in den Abgrund getrieben, Marduro setzt die Politik unverändert fort und sorgen dafür, dass die Menschen des Landes mit den größten Ölvorkommen der Welt jämmerlich hungern, absurd denkt man daran, wie manche arabische Länder mit dem schwarzen Gold einen gefühlt unendlichen Reichtum aufbauen konnten.
Wir nutzen die Wartezeit, um uns ein paar Geschichten anzuhören: die meisten wollen Venezuela nur für kurze Zeit verlassen, an ihren Gesichtsausdrücken kann ich erkennen, dass sie sich selbst mehr Mut zusprechen als wirklich dran zu glauben. Wer in großen Städten ein Auto besitzt, kann fast darauf wetten, dies durch bewaffnete Überfälle abgenommen zu bekommen, die Hyperinflation treibt selbst die Lebensmittelpreise in absurde Höhen und ein Venezolaner erzählt uns sogar, wie er sich bei Straßenkämpfen mit der Polizei in einem Shop verbarrikadieren musste, um nicht auf der rasant wachsenden Liste der Mordopfer Caracas zu landen. Mich nimmt jede einzelne Geschichte mit, solch eine Erfahrung würde wohl dem ein oder anderen AFDler gut tun! Doch Venezolaner sind trotz allem auch verdammt lustige Menschen und so vergeht die Wartezeit fliegend schnell. Als wir nach der Passkontrolle über die Grenzbrücke laufen, kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen, ich schau nach oben und lese, was auf dem großen, grünen Schild steht: Benvenidos a la República de COLOMBIA!!

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